Für die SVP in den Nationalrat: Sie sind parteitreu, aber mit einem Hauch Wohltätigkeit

Nadja Günthör und Parteikollege Patrick Demierre wollen beide für die SVP in den Nationalrat. Sie vertreten die Werte der Partei, scheuen aber nicht vor Kritik zurück.

Patrick Demierre zieht seinen Körper an der Stange hoch, die Oberarme zittern von den Klimmzügen. Jedes Mal, wenn er den Kopf über die Stange streckt, kommt er Najda Günthör näher. Diese sitzt oben auf dem Klettergerüst und spornt ihn an.

Das Bild widerspiegelt aufs Trefflichste den politischen Status der beiden: Patrick Demierre – ein Frischling in der Politik, vor zwei Jahren trat er der SVP Biel bei, trägt kein politisches Amt, aber besitzt viel Elan, nach oben zu kommen – die Klimmzüge sind ein erster Vorgeschmack auf seinen Tatendrang.

Längst oben angekommen: Nadja Günthör, Grossrätin in der Bildungskommission, ehemals Gemeinderätin von Erlach und chancenreiche Kandidatin für den Nationalrat.

Günthör und Demierre, so weit ihre Karriere auch voneinander entfernt ist, so nah sind sie sich in ihrer Haltung. Keiner der beiden sieht sich als Parteisoldaten. Im gemeinsamen Gespräch fallen auch kritische Worte gegen die SVP.

Patrick Demierre engagiert sich für gemeinnützigen Wohnungsbau, für gewöhnlich ein linkes Anliegen. «Es gibt zu viele Familien und alte Menschen, die sich die hohen Mieten kaum mehr leisten können», sagt er. Wohnbaugenossenschaften würden mithelfen, das Problem zu lösen, weil sie fernab von Gewinndenken günstige Mieten anbieten.

«Dann müssten nicht mehr beide Eltern hundert Prozent arbeiten und die Kinder in die Kita schicken», sagt Demierre. «Davon bin ich nämlich kein Fan.»

Doch damit stosse Demierre auf wenig Enthusiasmus in der SVP. «Oft wird der gemeinnützige Wohnungsbau mit sozialem Wohnungsbau assoziiert», sagt Demierre. Im sozialen Wohnungsbau werden gemeinnützige Wohnungen staatlich gefördert, durch Subventionen.

Günthör nickt, ihr gefalle seine Neigung zum Selberdenken. Auch sie politisiere nicht streng nach Parteibüechli, «ich bin nicht immer mit allem einverstanden, was die SVP sagt».

Sie kritisiert die Art und Weise, wie teilweise über Migranten gesprochen werde. Da heisse es manchmal: «Es kommen die Falschen.» Darin erkennt Günthör eine Ungerechtigkeit.

Nicht streng nach Parteibüechli

«Das ist doch undankbar gegenüber allen ausländischen Arbeitskräften, die auf den Feldern im Seeland das Gemüse ernten, was wir Schweizer ja nie tun würden.» Da müsse man unterscheiden.

Und schon im nächsten Satz ist Günthör wieder auf Parteilinie: «Für kriminelle Ausländer und illegale Flüchtlinge haben wir keinen Platz hier.» Jetzt nickt auch Patrick Demierre.

Bei Kernfragen politisieren Günthör und Demierre parteitreu. «Die SVP geht in die richtige Richtung», sagt Günthör. «Sie bewahrt Schweizer Werte» – gemeint sind Anstand, Sicherheit, Neutralität und Fleiss.

Nadja Günthör sieht sich selbst als Arbeiterkind. Der Vater war italienischer Einwanderer. «Er hat immer hart gearbeitet», sagt Günthör. Habe sich hochgearbeitet «bis er schweizerischer wurde als jeder andere.» Auch ihre Mutter sei tagein, tagaus Schneiderin gewesen, «es mussten drei Kinder ernährt werden».

Mit dem Blazer auf das Klettergerüst

Wer essen will, müsse «chrampfen», das bekam Nadja Günthör von zu Hause mit. Deshalb sei sie auch streng mit Jugendlichen, die keinen Ehrgeiz haben, oder mit Flüchtlingen, die sich nicht integrieren wollen. «Wenn der Wille nicht da ist, bin ich auch nicht bereit zu helfen.»

Sonst hilft Nadja Günthör gerne, tut das sogar beruflich. Einst Coiffeuse, bildete sie sich im Coaching aus. Ihr Mann Werner, der als «Kugel-Werni» und als dreifacher Weltmeister Sportgeschichte schrieb, gründete ein Beratungsunternehmen für Nachwuchssportler. Nadja Günthör coacht die Jugendlichen und hilft bei Problemen in Ausbildung oder Schule.

Ohne Zögern klettert Nadja Günthör in Blazer und Stiefeletten das Gerüst hoch, an dem Patrick Demierre Klimmzüge macht? Sie wirkt dabei nicht besonders elegant, aber das scheint ihr egal zu sein. Nadja Günthör ist unkompliziert.

Nach Streitgesprächen mit den Grünen oder der SP im Grossen Rat wolle sie nicht auf eine Umarmung oder drei Wangenküsse zum Abschied verzichten. «Im ersten Moment reagieren die Leute erschrocken», sagt Günthör. «Aber man muss ja nicht immer alles so ernst nehmen.»

Hält Kriegsursache für unbekannt

Demierre wirkt hingegen wie ein Mann mit viel Ernst in sich. Er nimmt es ernst, wenn jemand eine Verpackung am Boden liegen lässt, und hebt sie genervt auf. Er nimmt es ernst, wenn Vandalen öffentliche Toiletten verschandeln. Ernst sei auch, wie es um die Neutralität in der Schweiz bestellt ist.

«Wir müssen die Neutralität verteidigen», sagt er. Seine Haltung zum Krieg in der Ukraine ist in aller Härte neutral: «Warum der Krieg ausgebrochen ist, wissen wir alle nicht so genau. Ich bin da lieber zurückhaltend mit Verurteilungen.» Verurteilungen würden nur Verhandlungen erschweren, und da sehe er die Rolle der Schweiz – am Verhandlungstisch zwischen den Kriegsparteien.

emierre ist Major in der Schweizer Armee, ein ranghoher Dienstgrad. Dass die Schweiz weiterhin sicher und neutral bleibt, ist ein Kernanliegen seiner Politik – General Henri Guisan sein Vorbild. «Er war ein Vordenker, ein Generalist, so wie ich auch.» In seinem Zuhause hängt ein Porträt des Generals an der Wand.

Ein Generalist ist Demierre tatsächlich. Einst lernte er Elektroinstallateur, bildete sich bis zum eidgenössischen Diplom aus und koordiniert heute Projekte für die Energieversorgerin Groupe E – mit rund 50 Mitarbeitenden unter sich. Er ist im Vorstand der Bieler und der Berner KMU und Verwaltungsmitglied bei der Wohnbaugenossenschaft Sunneschyn und GURZELENplus in Biel.

Nach etlichen Klimmzügen zeichnen sich Schweisstropfen ab auf dem Polohemd und der Stirn von Patrick Demierre. Er strengt sich an, an der Kletterstange wie in den Chefetagen. Mit dem Applaus von Nadja Günthör im Rücken.

Text: Rachel Hämmerli, Bieler Tagblatt