Ausgemergelte Milchkühe vs. Testimonials zur Kultur: So sieht der Bieler Tobs-Abstimmungskampf aus

Die ausgemergelte SVP-Kuh ist schon seit zwei Wochen im Ring, und nun ist auch die Pro-Kampagne fürs Tobs und die Stadtbibliothek angelaufen. Worauf die beiden Lager setzen.

Vor zwei Wochen hat die SVP ihre Kampagne gegen die Leistungsverträge mit dem Theater Orchester Biel Solothurn (Tobs) und die Stadtbibliothek lanciert, nun zieht auch das Pro-Lager nach. «Wenn wir jetzt durchstarten, kommen wir im genau richtigen Moment», sagt die Bieler Stadträtin Anna Tanner (SP) über die Lancierung einen Monat vor den Wahlen. Ihre Erklärung: Diese Woche werden die Wahlunterlagen verschickt.

Plakate werden in der Stadt keine zu sehen sein, sagt die Bieler Stadträtin, die die Kampagne überparteilich koordiniert. Weil das Budget dafür fehle, aber auch, weil Plakate zur Abstimmung über die Leistungsverträge mit dem Tobs und der Stadtbibliothek in der Flut an Plakaten für die nationalen Wahlen unterzugehen drohten.

«Stattdessen setzen wir auf Testimonials, die wir in den sozialen Medien verbreiten möchten», so Tanner. Also persönliche Botschaften, in denen Politikerinnen und Politiker von der Partei der Arbeit links aussen bis zur FDP und der PRR, aber auch Kulturschaffende erzählen, weshalb ihnen die Stadtbibliothek oder das Orchester besonders am Herzen liegt.

Allianz von PdA bis FDP

Damit würden sie auch zeigen wollen, dass die Unterstützung für die Bibliothek und das Tobs breit abgestützt sei, sagt Tanner. Roman Eggimann (FDP) schreibt auf einem der Testimonials: «Kultur ist Balsam für die Seele – tun wir uns etwas Gutes», sein frankofoner Parteikollege und Präsident der Stiftung Stadtbibliothek, Maurice Paronitti (PRR), vergleicht Kultur mit Glück, die man teilen müsse. Auch am anderen Ende des politischen Spektrums klingt es bei Pir Ché Celik (PdA) ähnlich: «Kultur schafft Brücken, keine Barrieren.»Hinter dieser koordinierten Aktion, die von links bis ins bürgerliche Lager reicht, steckt die lose organisierte überparteiliche Kulturgruppe. Auch bei den Diskussionen der Sparmassnahmen Substance 2030 hätten sie nach einem Konsens gesucht, ihn aber nicht gefunden, sagt Tanner. Für die Abstimmungen über die Leistungsverträge für das Tobs und die Stadtbibliothek hingegen sei es gelungen, die Fronten zwischen links und rechts aufzuweichen. «So konnten wir Unterstützerinnen und Unterstützer aus fast allen Lagern finden.»

Die ausgemergelte Kuh «passt»

Mit «fast allen» meinte Tanner: alle Parteien ausser der GLP, die zur Stimmfreigabe aufgerufen hat. Und der SVP, die eine Kampagne gegen die Leistungsverträge mit dem Tobs und der Stadtbibliothek fährt.Die Partei habe in den ersten zwei Wochen seit Kampagnenstart ihren Flyer an 1700 Adressen «gezielt verschickt», wie Sandra Schneider (SVP) sagt. An Sympathisanten, Mitglieder, Bekannte, daneben auch während spontaner Flyeraktionen in der Stadt.

Dabei setzt die SVP auf ein altbekanntes Sujet: eine ausgemergelte Kuh, die Milch in ein übervolles Chessi abgibt, das mit «Tobs» beschriftet ist.

«Wir verwenden das Sujet schon seit mehreren Jahren, zu jeweils verschiedenen Themen», sagt Schneider. Und sie findet: «Es passt auch diesmal sehr gut.» Es könne nicht sein, dass man trotz laufender Diskussionen um die finanzielle Sanierung der Stadt dem Tobs für vier Jahre Geld sprechen wolle. «Die Bürger sind hier die Milchkühe, die mehr Steuern werden bezahlen müssen – das kann es nicht sein.»

Im Stadtrat hätten sie damals vorgeschlagen, dass die Leistungsverträge für zwei statt für vier Jähre ausgesprochen würden. Auch hätten sie das Tobs aufgefordert, sich Gedanken zu machen, wo es sparen könnte. «Alles wurde abgelehnt und ignoriert.» Deshalb liessen sie auf Worte jetzt Taten fliessen und engagierten sich gegen die Leistungsverträge.

Beidseits verhaltener Optimismus

Noch haben die beiden Kampagnen knapp vier Wochen, um die Gunst der Bieler Stimmbevölkerung zu gewinnen. Anna Tanner gibt sich verhalten optimistisch; die überraschend klare Ablehnung des Budgets im vergangenen Herbst steckt ihr noch in den Knochen. «Die Prämien steigen, die Kaufkraft schwindet – da besteht schon eine gewisse Gefahr, dass man solche Leistungen plötzlich infrage stellen könnte.»Dennoch ist Tanner überzeugt, dass die Bielerinnen und Bieler ihre Bibliothek, die Wissen für eine breite Bevölkerung bereitstelle, ihr Orchester, das weit über Biel hinaus strahle und künstlerisches Know-how nach Biel bringe, weiterhin wollten.

Auch die SVP, die diesmal nicht auf weitere Unterstützung aus dem bürgerlichen Lager zählen kann, gibt sich verhalten optimistisch. Die Rückmeldungen zu ihrer Kampagne bestätigten, was Schneider schon lange sagt: Dass sich die Stadt einen Luxus in dieser Art nicht mehr leisten könne.

Text: Jérôme Lechot, Bieler Tagblatt